Archiv 2005 - 2001

02.02.2003

Den Augen trauen

Pressemitteilung: Hundert Interessierte ließen sich von Uwe Appold seine Apokalypse-Bilder erklären

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Auch für den Künstler ein Buch mit sieben Siegeln: Uwe Appold in der Dreifaltigkeitskirche.

Erlöserkirche am Markt, halb zehn Uhr. Das Licht eines klaren Wintertages scheint durch die gotischen Fenster. Eine erwartungsvolle Gruppe hat auf den Bänken Platz genommen. Während sich die Blicke auf das Bild über dem Abendmahlstisch richten, spielt Kantor Johannes Pöld „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ in Bearbeitung von Buxtehude. Die freundlich-festlichen Orgelklänge stimmen auf das Bild vom „neuen Jerusalem“ ein. Ein breiter blauer Strom windet sich dort durch eine Fläche von kleinen Quadraten in warmem Gelb und frischem Grün. Das Ende steht am Beginn, die Hoffnung auf die paradiesische Stadt ist Ausgangspunkt der Tour durch Detmolds Kirchen.
Zu Fuß über den belebten Markt zur Martin-Luther-Kirche: Dort hängen im Chor die „sieben Sendschreiben“. Seltsame Schriftzeichen, die einem verborgenen System zu folgen scheinen, wirbeln durcheinander auf diesen Bildern, die alle 1,80 Meter hoch und 60 Zentimeter breit sind: die Körpermaße des Künstlers. Er wollte den rätselhaften Botschaften an die sieben Urgemeinden in Kleinasien „ein menschliches Maß geben“: Was in den Sendschreiben steht, können wir zwar immer noch nicht lesen, weil wir nicht die Empfänger sind, sagt Appold, „aber es ist doch zumindest äußerlich eine Annäherung.“ Die Adressaten um das Jahr 100 verstanden die verschlüsselten Botschaften sehr wohl. Im römischen Reich wurde damals verfolgt, wer sich zur jungen Religion des Christentums bekannte. Johannes verwendete einen subversiven Code, den die Machthaber nicht deuten konnten.
Jetzt besteigt man den Bus, der 70 Personen aufnimmt. Ein halbes Dutzend PKWs macht sich gleichzeitig auf den Weg zur katholischen Kirche St. Marien in der Bergstraße. Die zweite Siebener-Reihe: die „sieben Siegel“. Appold erläutert die Zeichen und Symbole: das blutige Schwert des zweiten apokalyptischen Reiters zum Beispiel, das im Bild als lange Klinge aus Edelstahl erscheint, oder den „ehernen Stab“, ebenfalls aus Stahl, mit dem Christus die Erde regieren wird.
„Den Zugang zu moderner Kunst bekommt man nicht von alleine“, meint Friedlinde Duckstein von der evangelisch-reformierten Gemeinde Detmold-Ost. Ihr Pfarrer Burkhard Krebber ist Initiator und beharrlicher Motor des Projekts. Sie hat schon einiges gesehen, wollte nun aber das gesamte Werk im Zusammenhang erleben. Auch Elisabeth Wehlt, die zur lutherischen Detmolder Gemeinde gehört, kennt die Bilder bereits. Eben deshalb hat sie sich die Rundfahrt mit dem Künstler nicht entgehen lassen: „Man sieht und liest sich immer wieder neu ein.“ Immer neue Querverbindungen konnte sie entdecken bei ihrer intensiven Beschäftigung mit Appolds Werk: „Irgendwie lebt man schon damit.“ Elke Schreiber aus Stapelage wollte nach der Lektüre der biblischen Offenbarung wissen, wie die Bilder des Johannes „in die Bildersprache der heutigen Zeit“ umgesetzt werden können.
In der lutherischen Dreifaltigkeitskirche hängt jenes Bild, dessen Motiv sprichwörtlich geworden ist: das Buch mit den sieben Siegeln. Appold hat es aufgeschlagen, die Siegel hängen an Bändern nach unten. Und was ist auf den beiden offenen Buchseiten zu sehen? „Ich verstehe es genauso wenig wie Sie“, erklärt der Künstler: das Rätselhafte als Rätsel gemalt. Das Bild hängt über dem Kreuz, verdeckt es. Die biblische Botschaft sucht sich mancherlei Ausdrucksformen.
In der ebenfalls modernen Pauluskirche in Jerxen-Orbke sind die beiden Bilder mit dem bunten Glasfenster, das als senkrechter Schlitz im Fluchtpunkt des Raumes steht, zu einer Art Tryptichon vereinigt. Eine wunderbar klare Fuge von Pachelbel, gespielt von Gerhard Schmidt, hilft bei der Sammlung der Gedanken und Empfindungen.
Da Kunst allein nicht satt macht, steuert der Konvoi jetzt das SOS-Kinderdorf-Berufsausbildungszentrum am Gelskamp an. Die tüchtige Organisatorin Christa Barmeyer hat dafür gesorgt, dass den hundert Personen hier eine ebenso schmackhafte wie preiswerte Kartoffelsuppe serviert wird – und das am arbeitsfreien Samstag.
Wie stark die Bilder im Raum wirken, wird anschließend in der Versöhnungskirche am Hiddeser Berg deutlich. Die dunkelsten und bedrohlichsten Werke hängen auf der Betonwand, der „Untergang Babylons“ zum Beispiel, aber auch der „Thron Gottes“, von dem Blitz und Donner ausgehen, ein wildes Gezack in glühendem Gelb und Orange vor tiefem Blau. Wie geschaffen dazu das Orgelstück des Ungarn Frigyes Hidas, mit dem sein Landsmann, der Organist Attila Kuti, die Zuhörer mitreißt: ein wilder chromatischer Wirbel, gegen den sich immer wieder machtvolle Orgelpunkte durchsetzen. Spontaner Beifall. Musik und Malerei sind Geschwister, sagt Uwe Appold.
In der katholischen Kirche Heilig Kreuz wurde das Kreuz sogar abgehängt: Das „Weltgericht“ beherrscht den basilikalen Raum. Zwischen blau-schwarzem Chaos vor feuerrotem Hintergrund erhebt sich ein hohes Rechteck aus goldenen Quadraten, das über den oberen Bildrand hinaus ragt: Zeichen einer neuen Gerechtigkeit, für die menschliche Maßstäbe nicht gelten. An den Längsseiten gegenüber die beiden weiteren Unterzyklen: sieben Schalen des Zorns, sieben Posaunen. Die gigantischen Katastrophen, die mit Posaunenschall kommen: Da sieht man Hagel und Feuer, mit Blut vermengt; man sieht einen brennenden Berg ins Meer stürzen, einen brennenden Stern vom Himmel fallen, die Gestirne sich verfinstern.
Immer wieder sind es einfache Zeichen – Buchstaben, Zweige, Leitern, Fackeln, Siegel, Flüsse – die auf das Größere, noch nicht Sichtbare verweisen. Auch in der lutherischen Kirche Hiddesen und, abschließend, in der Friedenskirche Remmighausen. „Wir sind heute in unserer bildüberfluteten Welt zu visuellen Analphabeten geworden“, sagt Uwe Appold. Auch Johannes hat vor fast 2000 Jahren in Sprachbildern auf das Kommende hingewiesen. Appolds Bilder sind eine künstlerische Aufforderung, sich mit dem biblischen Buch der Offenbarung zu beschäftigen. Und: „Wenn ich von den Bildern nichts verstanden habe, dann doch das: dass sie Gemeinschaft stiften“, sagt Pfarrer Krebber abschließend. Das hat sich an diesem Tag gezeigt.

Die Ausstellung ist in allen Kirchen noch bis 25. Februar mittwochs von 17 bis 20 Uhr, sonntags zum Gottesdienst und von 15 bis 18 Uhr geöffnet, außerdem in der Martin-Luther-Kirche (Schülerstraße) täglich ganztags und in der Erlöserkirche am Markt vormittags.

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