Archiv 2005 - 2001

10.12.2003

Bruch zwischen zwei Lebenswelten

Pressemitteilung: Professor Heinz Streib über christlichen Fundamentalismus

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Professor Heinz Streib

Fundamentalismus wird von Streib als „religiöser Stil-Bruch“ beschrieben. Damit meint er den Widerspruch zwischen dem selbstverständlichen Leben in der modernen, hochtechnisierten und von naturwissenschaftlicher Entwicklung bestimmten Welt einerseits und andererseits der unbedingten Ablehnung aller Ergebnisse moderner Wissenschaft, die dem wörtlichen Bibelglauben widersprechen. Die buchstäbliche Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift, wodurch Zeitbedingtes und Widersprüche ausgeblendet werden, sei für Fundamentalisten eine Bekenntnisfrage: „Allen, die dies nicht unterschreiben, wird das Christsein abgesprochen“, sagte Streib. Fundamentalismus sei also die Flucht in die Gewissheit der einst vertrauten Wahrheit: „Und diese kann für Fundamentalisten nur durch einen radikalen Bruch vor der Fraglichkeit, vor dem Ansturm von Relativismus, Pluralismus und Autoritätsverfall in Sicherheit gebracht werden.“ Dem argumentativen Gespräch würden sich Fundamentalisten entziehen – „dies macht die gutwillige Auseinandersetzung mit den Zeugen Jehovas, die an die Haustür kommen, zu einem abenteuerlichen, letztlich zum Scheitern verurteilten Unternehmen.“ Für Streib ist diese Haltung mit einer Flucht zurück in die Kindheit vergleichbar. Die Form des Zugangs zur Religion sei in einer bestimmten kindlichen Altersstufe „mystisch-wörtlich“: „Kein Jota einer religiösen Vorschrift darf verändert, kein Detail einer Geschichte angezweifelt werden. Hinzu komme, ebenfalls typisch für Kinder, ein „Wie-du-mir-so-ich-dir-Muster“ in der Beziehung zu Gott und zu den anderen Menschen: Mit Gehorsam und guten Werken hoffe man, Strafe und Unheil zu vermeiden.
Fundamentalistisch orientierte Menschen beherrschen nach Streibs Beobachtung einerseits lebenstüchtig und versiert im Alltag die komplexe moderne Technik, opfern aber andererseits ihre „Reflexions- und Analysekompetenz in Angelegenheiten des religiösen Lebens einem Denkverbot.“ Dies nennt er „Kindsein und Erwachsenenrolle in einer Person“. Aufgabe der Religionspädagogik sei es, solchen Menschen „Auswege aus der Nische“ zu eröffnen und Kindern und Jugendlichen fundamentalistische Entwicklungen zu ersparen. Dazu müssten sie unter anderem lernen, eigene Urteile zu bilden. Es sei sehr wohl möglich, zu „werden wie die Kinder“, wie Jesus sagt, und über das Geheimnis der Welt zu staunen, ohne auf der fundamentalistischen Stufe stehen zu bleiben.

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