Archiv 2005 - 2001

12.07.2003

Die ganze Heilige Schrift

Pressemitteilung: Jugendliche lasen einen Tag lang in sieben lippischen Kirchen

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Feierlicher Rhythmus: In der Blomberger Klosterkirche lesen Schüler im Wechsel die Klagelieder des Propheten Jeremia.

Vanessa Hartley von der Augustdorfer Realschule liest in der Alten Dorfkirche aus dem´Neuen Testament.
Jugendliche lesen die ganze Bibel vor. Es sind rund zweihundert, und sie lesen an diesem Freitag zu gleicher Zeit in sieben Kirchen. Von morgens um sieben bis abends zehn. Die Aktion ist ein Höhepunkt im Jahr der Bibel 2003.
In Blomberg sind gerade die Klagelieder des Propheten Jeremia dran. Das helle Licht des Sommertages fällt durch die Chorfenster, während die 14-Jährigen solche Sätze sprechen: „Jerusalem, lass deine Mauern schreien! Lass deine Tränen fließen wie Bäche...“ Jeremia beklagt die Zerstörung des Heiligtums und die Vertreibung des Volkes Israel. Was hat das mit den Jugendlichen von heute zu tun? Auch heute gibt es Leid und Elend, das man nicht begreift und über dem man zu Gott schreit, sagen Jana Keller und Leonie Korbach, beide in der 8. Klasse des Blomberger Gymnasiums.
Während Melanie Keeb (stehend) aus den Evangelien vorträgt, bereiten sich schon Imke Mengedoth und Ann-Marie Kahlert (von links) auf ihren "Auftritt" vor.
Schon zwischen sieben und acht Uhr morgens waren 200 Leute in der Lemgoer Nicolaikirche, berichtet Pfarrer Andreas Lange, der als Vorsitzender der landeskirchlichen Jugendkammer die Aktion initiiert und im Wesentlichen organisiert hat. Im Kirchenschiff herrscht munteres Treiben. Fernseh-Bibel-Spots flimmern über die weiß getünchte Kirchenwand, Kopfhörer für Radio-Bibelclips werden fleißig benutzt. Vorne aber herrscht konzentrierte Ruhe. Dort liest gerade Anna Scherzer aus dem Buch der Sprüche: „Lieber ein Gericht Kraut unter Freunden als der schönste Braten, übergossen mit Hass.“ Anna gehört zu den 30 „Nicoteens“, der Jugendgruppe um Pfarrer Lange. Klar, dass sie alle aktiv mit dabei sind.
Ann-Kristin Braun liest in der Alexanderkirche Oerlinghausen.
„Mädchen sind da einfach etwas mutiger“, meint Pfarrerin Christa Willwacher-Bahr in Detmold, die an der Heinrich-Drake-Realschule Religionsunterricht erteilt. Als sie in ihrer Klasse für das Bibellesen warb, meldeten sich vorwiegend Mädchen – zum Beispiel Ann-Marie Kahlert, Melanie Keeb und Imke Mengedoht. Die drei 16-Jährigen lasen in der Erlöserkirche am Markt aus dem Evangelium des Matthäus. Sie taten es gerne – und zwar nicht nur, weil sie in dieser Zeit nicht am regulären Schulunterricht teilnehmen mussten. Christa Willwacher-Bahr ist sich sicher, dass mehr hinter der Begeisterung der Mädchen steckt: „Viele, die hier aus der Bibel lesen, hatten vorher nicht viel mit der Heiligen Schrift zu tun. Aber jetzt gibt es ein Gefühl von Achtung und Wertschätzung, wenn sie als Jugendliche öffentlich in der Kirche aus der Bibel lesen.“
Jugendmitarbeiter Malte Hausmann muss Schwerstarbeit leisten - und dafür sorgen, dass vier Tonnen Bruchsteine vor der Erlöserkirche in Bad Salzuflen ohne Verletzungen zum Altar aufgeschichtet werden ...
An den meisten Orten hatten sich die Bibelleser in den Tagen zuvor auch intensiv mit den Bibeltexten auseinander gesetzt – zumindest mit dem Teil, den sie selbst vorlesen mussten. In Detmold lasen Schüler der drei Gymnasien und der beiden Realschulen die Hälfte des Neuen Testaments. Leseübungen wurden hier wie auch in Blomberg die Teilnehmer zum Pflichtprogramm. Auch in Augustdorf traten ganze Schulklassen an Lesepult. Außer der Erich-Kästner-Schule und der Realschule beteiligten sich auch Konfirmanden und die Evangelische Freikirche. Außerdem waren die Schüler im Schnitt etwas jünger. Auch Fünftklässler wagten sich schon an die Heilige Schrift. Hier waren es die neutestamentlichen Briefe und die Offenbarung des Johannes. Besonders freute Pfarrerin Johanna Kunz, dass bereits in der ersten Lesergruppe zwei junge Musliminnen aus der Bibel lasen.
In Bad Salzuflen begann das Lesen mit Schwerstarbeit: Das ökumenische Team um Pfarrer Uwe Wiemann hatte vier Tonnen Bruchsteine aus einem lippischen Steinbruch bestellt. Im Laufe des Vormittags wurden die Steine vor der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche zu einem Altar aufgeschichtet – was die Schulklassen bis zum Mittag nicht schafften, erledigte im Schweiße seines Angesichts Jugendmitarbeiter Malte Hausmann. Das gelesene Bibelwort wurde sowohl nach draußen als auch ins Gemeindehaus übertragen, wo man Linsensuppe und andere biblische Gerichte essen konnte. Eine Expertenrunde aus Juristen, Theologen und Therapeuten sowie Vertretern des Jugendamtes betrachtete die in der Kirche verlesenen Bibelabschnitte aus ihren jeweiligen Blickwinkeln und setzte sie zur Gegenwart in Beziehung.
Jugendliche mit Pfarrer Markus Honermeyer (2. von links) und Jugendmitarbeiterin Jutta Sindt (rechts) malen an der Kilianskirche Schötmar in Straßenbildern biblische Geschichten nach - hier den ersten "Selbstmordattentäter" Simson, als er bei den Philistern ein Haus zerstört und damit seine Feinde und sich selbst tötet.
In der Schötmaraner Kilianskirche ging es um die bekannten Geschichten aus den Büchern der Könige, um Gestalten wie Salomo, David, Goliath, Samuel und auch Simson, der als wohl erster Selbstmordattentäter sich und die Philister, die ihn gefangen hielten, in den Tod stürzte. „Es sind schon spannende Fragen, die sich auftun, wenn man diesen Schilderungen von Gewalt in der Bibel nachgeht“, meinte Pfarrer Markus Honermeyer mit Blick auf die aktuellen politischen Geschehnisse im Nahen Osten. Anschaulich wurden Szenen aus diesem Teil der Bibel auf dem Vorplatz der Kilianskirche, wo unter der Anleitung von Jugendmitarbeiterin Jutta Sindt mit Malkreide Straßenbilder von Simson und anderen entstanden.
In allen Kirchen war ein Leseplan vorbereitet worden, um die Textabschnitte über den Tag verteilen zu können. In der Alexanderkirche Oerlinghausen hatte diese Aufgabe Heidrun Fillies als „Zeitwartin“ akribisch erledigt. Rege Beteiligung verzeichnete die von Jugendmitarbeiter Michael Vitt angebotene Bibel-Rallye, und am Ende des Tages hatten zahlreiche Interessenten den „Bibel-Führerschein“ bestanden.

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