Armes Deutschland

Soziale Gerechtigkeit Thema beim Marktplatzgespräch

Gespräch mit dem Publikum: Robert Trettin und Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster diskutieren mit den Gästen. (von links)

Kreis Lippe/Detmold. Das Thema „Armes Deutschland! Reichlich Grund zum Umverteilen?“ – stand im Mittelpunkt des Marktplatzgesprächs in Detmold im Gemeindehaus am Markt. Auf dem Podium ging es darum, wie groß die Armut im reichen Deutschland ist, ob sich die soziale Schere immer weiter öffnet und ob fehlende soziale Gerechtigkeit Rechtspopulismus begünstigt.

Unter der Moderation von Landespfarrer Dieter Bökemeier und Bildungsreferentin Monika Korbach diskutieren Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster (Universität Gießen), Karl-Eitel John (Fachbereichsleiter für Jugend, Familie und Soziales des Kreises Lippe), Matthias Neuper (Leiter des Diakoniereferates der Lippischen Landeskirche und der Herberge zur Heimat) sowie Robert Trettin (stellvertretender Sprecher der Nationalen Armutskonferenz). Musikalisch wurde der Abend vom Saxophonquartett AbraxSax untermalt.

Karl-Eitel John lobte Lippe als einen noch überschaubaren Raum mit kompetenten Mitarbeitern in verschiedenen Netzwerken, die gut zusammenarbeiten. Aber auch im ländlichen Raum sei Armut angekommen. In Lippe erhielten 3.000 Menschen Grundsicherung (9 Prozent der Einwohner) und es gebe 5.000 Langzeitarbeitslose. 

Matthias Neuper verwies darauf, dass Sozialarbeiter viele ältere Menschen ermutigen müssten, ergänzend Grundsicherung oder Wohngeld zu beantragen. Scham sei häufig die Ursache für eine nicht in Anspruchnahme des Rechtsanspruches. Die Bereitschaft, Almosen zu geben, wachse in der Gesellschaft. Dadurch gerieten Menschen in eine Bittsteller-Rolle und würden  weiter an den Rand gedrängt.

Robert Trettin berichtete, dass in Berlin die Miete nach Sanierungen für viele Menschen nicht mehr bezahlbar sei. Die Mietpreisbremse funktioniere nicht und Hartz IV reiche gerade für Lebensmittel. Alleinerziehende Frauen, junge Erwachsene und Rentner seien betroffen. Wenn man das Rentenniveau weiter absenke, wachse die Altersarmut. Die Tafel nutzten jetzt schon überwiegend ältere Menschen. Seit 30 Jahren gebe es Sozialabbau. Er forderte: „Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht, das ins Grundgesetz aufgenommen werden muss“.

Prof. Huster bestätigte, dass bei unteren Einkommen mittlerweile 50 Prozent für Miete draufgingen. Die Politik habe den sozialen Wohnungsbau vernachlässigt. Die soziale Schere klaffe weiter auseinander. Die Mittelschicht werde kleiner, während die Zahl der Reichen und Armen zunehme. Der Armutsbericht 2016 zeige, dass Arbeitnehmerentgelte gegenüber dem Volkseinkommen zurückblieben, obwohl Unternehmergewinne wüchsen: „Wenn Arbeitnehmerentgelte mit dem Volkseinkommen steigen würden, hätten die Rentenkassen keine Probleme mehr“. Es sei genug Geld da: „Es landet nur bei den oberen zehn Prozent der Bevölkerung. Je reicher man wird, desto weniger Steuer zahlt man. Deutschland ist eine Steueroase für Vermögensreiche“.  Steuerehrlichkeit und  -gerechtigkeit seien gefordert. Das Einkommen von acht Prozent der Bevölkerung liege 200 Prozent über dem Durchschnittseinkommen, während 16 Prozent mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittslohns leben müssten. „Der Staat wird nicht durch untere soziale Schichten ausgeblutet, es wird oben kräftig abgesahnt“. Huster forderte sozialen Wohnungsbau und eine vernünftige Grundsicherung. Neben der Einkommenssituation müsse das soziale Umfeld durch sozialpädagogische Maßnahmen und Bildung verbessert werden.

27.09.2017