Feridun Zaimoglu liest aus seinem Roman "Siebentürmeviertel".

Siebentürmeviertel

Feridun Zaimoglu las vor rund 70 Interessierten im Haus Münsterberg

Detmold. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller Feridun Zaimoglu hat im Haus Münsterberg aus seinem Roman „Siebentürmeviertel“ (2015) gelesen. Der 52-jährige lebt in Kiel, ist Autor, Drehbuchautor und Journalist. Die Lesung war eine Kooperationsveranstaltung zwischen der Lippischen Landeskirche, vertreten durch Sabine Hartmann (Referat Ökumene und Mission) und der Buchhandlung ‘Kafka & Co‘.

Terror, Verfolgung, Flucht, Emigration – der Roman des türkischstämmigen Autors Feridun Zaimoglu führte rund 70 Gäste in die schillernde, multi-ethnische und multi-religiöse Metropole Istanbul Ende der 1930er Jahre, in der rund 2.000 Deutsche Zuflucht fanden. Ein deutscher Junge muss mit seinem Vater aus Hitler-Deutschland fliehen und lebt im Exil. Mit großer Sprachkraft und Poesie zeichnet der Roman auf 800 Seiten ein Bild des „Siebentürmeviertels“, einem Stadtteil Istanbuls, in dem damals wie heute Kulturen und Religionen sowie menschliche Leidenschaften und Sehnsüchte aufeinanderprallen.

Ohne Prolog wird der Leser ins Geschehen geworfen. „Sie nennen mich Hitlers Sohn“ lautet der erste Satz. Er eröffnet die Perspektive des sechsjährigen Ich-Erzählers Wolf, der in eine fremde Welt gestoßen wird. Sein Vater, ein Sozialdemokrat, ist nach dem Tod der Mutter mit ihm nach Istanbul emigriert. Es beginnt eine Reise der Integration, die Wolfs Leben 15 Jahre begleitet. Im Schmelztiegel „Siebentürmeviertel“ trifft die Moderne auf uralte Gesetze. Die archaische Welt setzt eine komplexe Erzählkonstruktion mit einem vielstimmigen Chor von 80 Figuren in Szene, die es nicht immer leicht machen, den roten Faden zu finden.

Poesie und Rhythmus prägen den Schreibstil Zaimoglus, der wie ein Dirigent beim Vorlesen mit dem Finger die Sprachmelodie in die Luft zeichnet. Sein akzentuiertes Lesen bannt die Hörer. Wolfs gestrenge Schulzeit wird facettenreich porträtiert. Seine Außenseiterstellung offenbart sich bereits, als er seinen Namen an die Tafel schreiben soll, jedoch im türkischen Alphabet kein W existiert. Schandecke, Rohrstock und der gereizte Direktor, der ihn verhöhnt, sind Zutaten, die das von osmanisch-preußischer Disziplin geprägte Schulklima ausmalen. Wolfs resolute Nennmutter Bayka Hanim stellt sich schützend vor den Ziehsohn und zeigt der Lehrerin die Stirn.

Nach der Lesung kam das Publikum unter Moderation von Albert Lange, Inhaber der Buchhandlung ‘Kafka & Co‘, ins Gespräch mit dem Autor.

Da Zaimoglu Einreiseverbot in die Türkei hat, wird sein Buch nicht ins Türkische übersetzt. In aller Bescheidenheit wies er daraufhin, dass er kein Türkeiexperte sei, sondern nur ein gut unterrichteter Tourist. Nach aktuellen Parallelen befragt, sagte er, dass die Türkei bis heute nicht konsequent mit der patriarchalen Gewaltkultur des osmanischen Reichs gebrochen habe und die Willkürherrschaft Erdoǧans die Erziehung zur Mündigkeit unterdrücke. Der Rechtsbruch und „Grobianismus“ mache sich breit und er hoffe auf ein baldiges Ende des Unrechtsstaates.

18.07.2017