Die Kunst des wahren Kompromisses

Friedrich Schorlemmer über „Luther und die Aufgaben der staatlichen Gewalt“

Dr. Friedrich Schorlemmer (2. von links) wurde in Lemgo begrüßt von (von links:) Landrat Dr. Axel Lehmann, Superintendent Dr. Andreas Lange und Bürgermeister Dr. Reiner Austermann.

Kreis Lippe/Lemgo. Über verantwortliches politisches Handeln in der Tradition Martin Luthers sprach der evangelische Theologe Dr. Friedrich Schorlemmer (Wittenberg) am Dienstag, 7. März, in Lemgo im Rahmen des Jubiläums „500 Jahre Reformation“. Gewissenhaftes Regierungshandeln setze Klugheit, Kompromissbereitschaft und den Willen voraus, sich für das Wohl des Gemeinwesens einzusetzen, betonte Schorlemmer in seinem Vortrag „Narren soll man nicht über Eier setzen - Martin Luther und die Aufgaben der staatlichen Gewalt“.

Eingeladen hatten die Lutherische Klasse der Lippischen Landeskirche und die Stadt Lemgo. Vor mehr als 200 Zuhörern im Gemeindehaus St. Nicolai erinnerte Schorlemmer daran, dass er von 1990 bis 1994 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Wittenberger Stadtrat war. Er verfüge über Politikerfahrung und könne deshalb Luthers Ausführungen zur staatlich legitimierten Gewalt nachvollziehen - selbstredend nicht alle Gedanken und natürlich alles aus der historischen Distanz.
Für den Reformator sei es eine unzweifelhafte Grundwahrheit gewesen, dass die Fürsten über das Volk zu herrschen hätten. Diese Herrschaftsbefugnis dürfe aber nicht mit der Billigung von Willkür und Eigenmächtigkeit verwechselt werden. Um mit Luther zu sprechen: „Soll man denn zulassen, dass lauter Flegel und Grobiane uns regieren, wenn man‘s sehr wohl besser machen kann?“ Luther habe von der Fürstenherrschaft verlangt, dass sie dem Volk bzw. dem Gemeinwesen diene und nutze. Das setze Klugheit, Besonnenheit und Kompromissbereitschaft voraus auf Seiten der „Obrigkeit“. Anderenfalls trete ein, wovor Luther bildkräftig gewarnt habe: „Narren soll man nicht über Eier setzen; sie zerbrechen dieselbigen.“

Schorlemmer gab zu bedenken, dass es fragwürdig sei, zur Rechtfertigung staatlicher Gewalt allein auf Mehrheitsverhältnisse zu verweisen. Die Mehrheit des „Volkes“ bzw. der Wähler hinter sich zu wissen, sei nicht ausreichend, jede Entscheidung zu begründen. Deutschland habe in dieser Hinsicht zwischen 1933 und 1945 sehr bittere Erfahrungen sammeln müssen. Friedrich Schorlemmer: „Wenn es nur danach geht, dass die Mehrheit entscheidet, kann diese Macht die Demokratie bedrohen.“

Politik könne es nicht allen recht machen. Die Kunst liege darin, den schmalen Grat des wahren Kompromisses zwischen engstirnigem Partikularinteresse und bequemem Opportunismus zu finden. Das habe Luther vor 500 Jahren ebenso gewusst wie verantwortungsvolle Politiker heute. Zur Verdeutlichung verwies Schorlemmer auf die Herausforderungen durch die Flüchtlingsfrage und ein Zitat des Bundespräsidenten Joachim Gauck dazu, dem er in dieser Angelegenheit voll zustimme: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“

09.03.2017