Rund 160 Gäste waren zum Vortrag des Nikolaipfarrers Christian Führer in die Aula der Alten Schule am Wall gekommen.

„Wunder biblischen Ausmaßes“

Nikolaipfarrer Christian Führer erinnerte an „Friedliche Revolution“ 1989

Detmold. Die vom ehemaligen Pfarrer Christian Führer in der Leipziger Nikolaikirche initiierten Friedensgebete gaben im Oktober 1989 den Anstoß zu den Leipziger Montagsdemonstrationen und trugen bei zum Mauerfall im November 1989. Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung berichtete Pfarrer Führer auf Einladung der Volkshochschule Detmold und der Lippischen Landeskirche von den Ereignissen rund um die „Friedliche Revolution“. Rund 160 Zuhörer verfolgten am Mittwoch, 1. April, in der Aula der Alten Schule am Wall den Vortrag des im März 2008 pensionierten Nikolaipfarrers.

Wie Christian Führer in Detmold ausführte, verstehe er den 9. Oktober 1989 als „Verwirklichung der Bergpredigt“. 70.000 Demonstranten in der Leipziger Innenstadt rund um die Nikolaikirche hätten an jenem Montag die Botschaft der Bergpredigt und zugleich ihren Protest gegen das SED-Regime zusammengefasst in den zwei Worten „Keine Gewalt“. Damit sei den Sicherheitskräften der Wind aus den Segeln genommen worden. Polizei und Staatssicherheitsdienst seien auf alles vorbereitet gewesen - jedoch nicht auf Kerzen und Gebete. Der friedliche Verlauf der Demonstration sei ein „Wunder biblischen Ausmaßes“ gewesen. Christian Führer: „Wenn dieser Vorgang nicht als Wunder bezeichnet werden darf, weiß ich nicht, was sonst eins sein soll.“
Der in seiner Gewaltlosigkeit und seiner Wirkung einzigartige 9. Oktober 1989 habe das letzte Kapitel der dramatischen Ereignisse bis zur Maueröffnung eingeleitet. Der seit 1990 als „Tag der Deutschen Einheit“ begangene 3. Oktober sei dagegen nichtssagend. Er erinnere nicht an die „Friedliche Revolution“, die erste Revolution auf deutschem Boden, die ohne Gewalt und Beschämung anderer Menschen ausgekommen sei.
Für Christian Führer ist die Überwindung der DDR-Staatsmacht durch friedlichen Protest ein Zeichen dafür, dass in der Politik und im gesellschaftlichen Zusammenleben nicht nur „Geld, Armee, Wirtschaft und Medien“ etwas bewegen können. Der Nikolaipfarrer: „Es gibt auch die Gotteskraft, die die Gesellschaft bewegt.“
Er trauere nicht den in den Monaten und Wochen vor der Wende gut besuchten Kirchen im Osten hinterher, antwortete Führer auf Nachfrage aus dem Publikum. Schon nach dem 9. November 1989 habe die Zahl der Kirchgänger deutlich abgenommen. In der historisch einmaligen Situation vor der Wende hätten die Menschen die Kirche „als einzigen Ort der Freiheit in der DDR“ gebraucht. Kircheneintritte aus Dankbarkeit habe man nach dem Mauerfall nicht erwarten können. Auch Jesus habe von den Menschen, die ihm zuhörten, keine Verpflichtungserklärungen verlangt.
Das Evangelium müsse sich in jeder Gesellschaftsordnung neu bewähren. Deshalb habe man die Montagsgebete in der Leipziger Nikolaikirche nach der Wiedervereinigung fortgesetzt. Erwerbslos gewordene Menschen seien zum Gebet in die Kirche gekommen. Mahnwachen gegen den Golfkrieg und den Irakkrieg habe man organisiert. Immer wieder habe er festgestellt, dass es den Menschen gut getan habe, über ihre Probleme zu sprechen. Pfarrer Führer: „Kirche ist für den Menschen zu allen Zeiten da. Allerdings vergisst er ihre Kraft schnell wieder.“ Als Pfarrer entmutige ihn das keinesfalls. Seit den frühen 1980er Jahren sei in die Nikolaikirche eingeladen worden zu Gebeten, bei denen es um drängende Fragen der Zeit gegangen sei. Die Menschen würden auch zukünftig den Weg in die Kirche finden, wenn die Kirche den Weg zu den Menschen finde. Christian Führer: „Altar und Straße gehören für mich zusammen.“

03.04.2009