Nicht alle Hoffnungen erfüllt

Leseabend zum 60. Unabhängigkeitstag Israels

Musikalisch wurde der Abend vom israelischen Geiger und Detmolder Musikstudenten Ariav Buchris mitgestaltet.

Detmold. Nicht alle jüdischen Hoffnungen, die vor 60 Jahren mit der Gründung des Staates Israel verbunden waren, haben sich erfüllt. Der mit der Ausrufung der israelischen Unabhängigkeit einhergehende Traum eines friedlichen und versöhnten Lebens konnte der späteren Wirklichkeit nicht standhalten. Diese Eindrücke nahmen die Besucher eines Leseabends in der Theologischen Bibliothek am 8. Mai, dem 60. Unabhängigkeitstag Israels, mit nach Hause.

Der Beauftragte der Lippischen Landeskirche für jüdisch-christliche Begegnungen, Pfarrer Maik Fleck, las aus einer Novelle und zwei Autobiografien jüdischer Autoren vor, um seinen Zuhörern Eindrücke aus der Aufbauzeit Israels zu vermitteln. Der junge israelische Geiger Ariav Buchris, der zurzeit im fünften Semester an der Detmolder Musikhochschule Violine studiert, begleitete die Lesung mit Musikstücken jüdischer Komponisten.
In der von Pfarrer Fleck in Auszügen vorgetragenen Novelle „Ein Engel aus Papier“ beschreibt die 1936 in Israel geborene Ruth Almog das Geschehen in Palästina während und kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ungarn, Polen, Spanier und Österreicher leben in Tel Aviv in einem großen Mietshaus, in dem sich der heranwachsende Paul, Sohn Wiener Emigranten, behaupten muss. Während sein erwachsener Freund, ein Friseur aus Ungarn, von der Heirat mit einer sehnsuchtsvoll singenden Spanierin träumt, verliebt sich Paul unsterblich in ein Mädchen aus Polen. Der Friseur heiratet statt der Spanierin eine Ungarin und auch Paul verliert seine Freundin aus den Augen. Sie hat ihm als Zeichen ihrer Freundschaft ein Schmuckbild geschenkt, einen „Engel aus Papier“. Als Paul nach einem mehrjährigen Aufenthalt in den USA, wo er als Dirigent scheitert, als Musiklehrer nach Israel zurückkehrt, bleibt ihm als Erinnerung an seine Jugend jener „Engel aus Papier“: Andenken an eine Hoffnung, die ihn lebenslang begleitete und sich in der Wirklichkeit nicht erfüllte.
Auch in den Lebenserinnerungen von Ruth und Benjamin Margalith-Ehrmann spielt die Ernüchterung, die der Euphorie der Staatsgründung folgte, eine wichtige Rolle. Die aus Detmold-Heidenoldendorf stammende Ruth Ehrmann wandert 1949 nach Israel aus. Während es der jungen Frau gelingt, in einem Kibbuz neue Wurzeln zu schlagen, was auch die Hochzeit mit Benjamin Margalith verdeutlicht, träumt ihr Vater von einer Rückkehr nach Detmold. In seiner Heimat Deutschland wurde der Vater verfolgt. Im neuen Staat Israel fühlt sich der Vater als Fremder.
Pfarrer Fleck trug auch biografische Notizen aus dem Buch „Ich lebe in Jerusalem“ von Schalom Ben-Chorin vor. Ben-Chorin wurde als Fritz Rosenthal 1913 in München geboren und wanderte 1935 nach Israel aus. Der 1999 verstorbene Journalist und Religionswissenschaftler gilt als Wegbereiter des jüdisch-christlichen Gesprächs und Brückenbauer der deutsch-israelischen Verständigung. Nach der 1967 erfolgten Annektierung Ost-Jerusalems durch Israel habe für eine kurze Zeit die Utopie eines kriegsüberwindenden Friedens die Seelen der Menschen beherrscht, zitierte Maik Fleck Ben-Chorin. Juden, Christen und Muslime hätten freien Zugang zu den ihnen heiligen Stätten gehabt. In diesem einzigartigen Augenblick der Geschichte, so Ben-Chorin, habe sich Jerusalem als „geeinte Stadt aller Söhne Abrahams“ dargestellt.
Die von Menschen gemachte Geschichte sei jedoch anders verlaufen, bilanzierte Pfarrer Maik Fleck. Der „göttliche Friede“, wie Ben-Chorin ihn genannt habe, sei nicht geschenkte Wirklichkeit geworden. Sich weiterhin für ihn einzusetzen und ihn zu erbitten, bleibe auch zukünftig die Aufgabe der Menschen.

12.05.2008