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27.02.2003

Damals Deutschland – heute die Dritte Welt?

Pressemitteilung: Vor fünfzig Jahren wurde die junge Bundesrepublik weitgehend entschuldet

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Die Mitglieder des Arbeitskreises „Solidarische Kirche“ machen sich für ein faires Entschuldungsverfahren für die Länder des Südens stark. Sie beteiligen sich an einer Aktion, mit der Unterschriften auf Ringen gesammelt werden.

Pfarrer Bendix Balke, Beauftragter der Lippischen Landeskirche für das Erlassjahr, wagte den historischen Vergleich zwischen der Behandlung Deutschlands acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und den überschuldeten Staaten der Dritten Welt heute. Seine Ergebnisse waren durchaus überraschend: Die junge Bundesrepublik erhielt Entschuldungsbedingungen, von denen Länder wie Brasilien, Argentinien oder Indonesien heute nicht einmal zu träumen wagen. Und das, obwohl Nazideutschland die meisten seiner Gläubiger wenige Jahre zuvor in einen schrecklichen Krieg gezwungen hatte. Der Grund für die wohlwollende Behandlung Westdeutschlands liegt auf der Hand: Die Bundesrepublik wurde im Kalten Krieg gebraucht. Die USA, Großbritannien und andere hatten ein Interesse an einem wirtschaftlich gesunden deutschen Teilstaat mit fester demokratisch-marktwirtschaftlicher Ordnung, der zudem noch ein guter Absatzmarkt für eigene Produkte sein konnte.
Gleichwohl lohnt der Vergleich mit der aktuellen Situation. Deutschland hatte 1953 knapp 30 Milliarden Mark Schulden. Im Londoner Abkommen wurde die Hälfte der Verbindlichkeiten erlassen. Fünf Jahre lang musste Deutschland keine Schulden tilgen, die Zinsen blieben moderat und schwankten zwischen Zinsfreiheit und einem Satz von fünf Prozent. Der Schuldendienst orientierte sich an der deutschen Exportbilanz. Der junge Staat sollte nicht überfordert werden. Günstige Bedingungen also, die auch darauf basierten, dass Deutschland am Verhandlungstisch vertreten war. Das Vorstandsmitglied der deutschen Bank, Hermann-Josef Abs, eine der schillerndsten Persönlichkeiten Nachkriegsdeutschlands, setzte sich vehement für die Interessen der aufstrebenden Volkswirtschaft ein. Diese Bedingungen erleichterten den ökonomischen Wiederaufstieg Deutschlands erheblich.
Ganz anders die Situation von verschuldeten Entwicklungsländern heute: Schuldenerlasse werden nur ärmsten Staaten in Ausnahmesituationen zugestanden. Diese müssen sich dann in der Regel den wirtschaftspolitischen Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterwerfen. Ein einheitliches Gremium für Umschuldungsverhandlungen wie vor 50 Jahren in London gibt es nicht. Ebenso wenig haben die Schuldnerstaaten im Pariser Club, wo ihre privaten Gläubiger versammelt sind, ein Mitentscheidungsrecht, wie es Deutschland zugebilligt worden ist. Und der zu leistende Schuldendienst orientiert sich nicht an der Leistungsfähigkeit der Staaten, sondern am Zinsniveau des Weltmarktes mit entsprechenden Risikoaufschlägen für besonders arme Länder.
Pfarrer Balke setzt sich für ein Insolvenzrecht auf internationaler Ebene ein. Basis dafür ist ein faires und transparentes Schiedsverfahren. Darin wird ein Rückzahlungsplan für das Schuldnerland entwickelt, der dessen Leistungsfähigkeit und wirtschaftliche Grundversorgung berücksichtigt. Balke sieht durchaus Realisierungsmöglichkeiten für dieses Konzept: Sowohl der Bundestag als auch der IWF haben sich mittlerweile damit befasst. Und der Handlungsdruck soll aufrecht erhalten bleiben. Deshalb beteiligten sich Balkes Zuhörer auch gerne an der Unterschriftenaktion und platzierten die Zettel mit ihren Signaturen, auf kleinen Plastikringen – eine Aktion, die die Unterstützung für eine wirksame Entschuldung auch symbolisch vor Augen führen will.
Deutschland hatte 1953 eine Schuldendienstquote von vier Prozent zu schultern. Diese Quote gibt das Verhältnis von Zinsen und Tilgung zu den Exporterlösen eines Landes wieder. Brasilien hatte im Jahre 2000 eine Quote von 90 Prozent, Argentinien von 71 Prozent zu bewältigen. Möglichkeiten, diese Quote aus eigener Kraft zu verbessern, haben Entwicklungsländer kaum. Ihre Güter gelangen wegen der Zollschranken der Industriestaaten selten zu konkurrenzfähigen Preisen auf fremde Märkte. Dabei herrscht gewaltiger Problemdruck in der Schuldenfrage. Waren alle Entwicklungsländer der Welt zusammen genommen 1970 noch mit knapp 73 Milliarden Dollar verschuldet, so sind daraus bis ins Jahr 2000 rund 2,5 Billionen Dollar geworden – das 35-fache.

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