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12.10.2004

„Die Mauer in den Köpfen wird abgebaut“

Pressemitteilung: „Die Mauer in den Köpfen wird abgebaut“ Vor 15 Jahren in der DDR- Ein Pfarrer aus Dessau sprach in Barntrup über die friedliche Revolution

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Präses Martin Böttcher (rechts) konnte Pfarrer i.R. Alfred W. Radeloff in der ev.-ref. Kirche in Barntrup begrüßen. Radeloff war Kreisoberpfarrer in Dessau und hat dort die friedliche Revolution vor 15 Jahren in der DDR erlebt und mitgestaltet.

Auch heute noch, 15 Jahre später, wirkt Alfred W. Radeloff tief bewegt. Anschaulich erzählt er seinen Zuhörern, wie es war, Pfarrer in der DDR zu sein. Einige hätten irgendwie versucht, ihre kirchlichen Aufgaben zu erfüllen, andere hätten sich angepasst und mit dem Sozialismus taktiert. Aber da sei auch eine Gruppe von Pfarrern gewesen, unzufrieden und unruhig, die habe sich nicht angepasst. Aus dieser Gruppe seien die ersten Demonstranten hervorgegangen: „Ohne die Menschen in den Kirchen und die Demonstrationen wäre die Einheit nicht gekommen“, ist der Pastor überzeugt. Auch in Dessau hätten die Kirchen in den letzten Monaten vor der Maueröffnung eine wichtige Rolle gespielt. Unter den Bürgern sei der Drang nach Veränderung gewachsen: „Wir wollten eine freie demokratische Republik haben, eine andere DDR. An die Wiedervereinigung dachten wir damals noch nicht.“ Am 20. Oktober 1989 versammelten sich in der Johanniskirche in Dessau Bürger zum „Gebet um Erneuerung“. Der Kreisjugendkonvent hatte das Gebet organisiert, Radeloff war gebeten worden zu predigen: „Ich predigte vor Tausenden, die Kirche war total überfüllt.“ Mitten in der Predigt hätten Leute angefangen zu klatschen. „Auch in den Gebeten wurde geklatscht. Die meisten, die dort saßen, waren noch nie in einer Kirche gewesen.“ Der Pastor verdeutlicht, wie Kirche in der DDR im gesellschaftlichen Abseits stand: „Es gab keinen Religionsunterricht an den Schulen und ganze Berufsgruppen durften der Kirche nicht angehören. Polizisten, Journalisten, Kindergärtnerinnen- hier gab es keine Christen mehr.“ Doch vor 15 Jahren seien die Menschen zu Tausenden in die Kirchen gekommen: „Sie spürten die Kraft, die von dort ausging.“
Während der Monate nach dem 9. November 1989 habe sich die Stimmung dann verändert: „Aus dem Ruf ‚Wir sind das Volk’ wurde der Ruf ‚Wir sind ein Volk’.“ Viele Menschen seien in den Westen gezogen, die starke westdeutsche Wirtschaft in den Osten gekommen. Das habe das Aus für zahlreiche Betriebe bedeutet. Eine Alternative zur Wiedervereinigung gab es nicht, davon ist Radeloff überzeugt: „Gäbe es die DDR heute noch, würden die Menschen dort hungern.“ Die Wirtschaft sei einfach am Ende gewesen. In den vergangenen Jahren habe sich vieles zum Guten gewendet. Häuser seien gebaut und die Infrastruktur verbessert worden. Der Schrecken des Kalten Krieges sei vorbei: „Was haben wir nicht schon alles gewonnen.“ Die Menschen dürften nicht zu ungeduldig sein. „In den Köpfen ist die Mauer noch da, aber sie wird abgebaut werden.“

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