Nur Musik – keine Verkündigung

Pfarrer Martin Filitz über „Mozart und Karl Barth“ in der Theologischen Bibliothek

Kreis Lippe/Detmold. Karl Barth (1886 bis 1968) gilt weithin als der bedeutendste und prägendste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts. Umso überraschender erscheint es daher, dass dem Protestanten Barth das musikalische Werk des katholischen Wolfgang Amadeus Mozart offenbar mehr zusagte als das des evangelischen Meisterkomponisten Johann Sebastian Bach.

„Gibt es für diese Vorrangstellung Mozarts bei Karl Barth eine theologische Begründung oder kommt hier lediglich Barths musikalisch-ästhetisches Empfinden zum Ausdruck?“ Mit dieser Frage beschäftigte sich Martin Filitz, ehemaliger Gemeindepfarrer in Kalletal-Talle und jetziger Domprediger der ev.-ref. Domgemeinde Halle an der Saale, in seinem Vortrag „Mozart und Karl Barth“ am Donnerstag, 27. April, in der Theologischen Bibliothek der Lippischen Landeskirche.

In den vielen Schriften und Briefen Karl Barths gebe es zahlreiche Hinweise darauf, dass auch theologische Gründe ausschlaggebend dafür gewesen seien, Mozart den Vorrang vor Bach einzuräumen, erläuterte Filitz den knapp 100 sehr aufmerksam zuhörenden Gästen des Abends. Barths Bekenntnis zum Mozartschen Werk sei eindeutig: „Ich habe sogar zu bekennen, dass ich, wenn ich je in den Himmel kommen sollte, mich dort zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen würde“, formulierte Barth einst.

Martin Filitz sagte, dass es Karl Barths Grundüberzeugung gewesen sei, dass sich Gott allein in Jesus zu erkennen gegeben habe. Aus diesem Grund habe Barth die „Quasi-Vereinnahmung“ des Bachschen Werks durch Teile des Protestantismus zum Zwecke der Verkündigung mit Skepsis betrachtet. Manche evangelischen Christen hätten Bach geradezu in den Rang eines „5. Evangelisten“ erhoben. Auch Barth habe Bachs Matthäuspassion als ein Werk einzigartiger musikalischer Größe empfunden. Aber sie tauge, so Barth, als „Trauerode, in der Jesus, der Sieger, völlig stumm bleibt“ nicht zur Auslegung der Osterbotschaft. Mit seiner im Vergleich zu Mozart reservierteren Haltung Bach gegenüber habe Barth eine „heilige Kuh des Kulturprotestantismus“ geschlachtet, meinte Pfarrer Filitz.

Der Umgang mit dem Mozartschen Werk sei für Barth viel unproblematischer gewesen. Der in der katholischen Tradition aufgewachsene Mozart sei niemals in Versuchung geraten, die Passionsgeschichte zu ästhetisieren oder seine Kompositionen als Musik gewordene Theologie zu begreifen. Mozarts Musik bleibe immer diesseitig und irdisch, wenngleich von unvergleichlicher Schönheit. Karl Barth habe Mozarts geistliche und weltliche Musik als Lob Gottes empfunden. Die vom einstigen Wunderkind der Musik komponierten Messen wurden als gottesdienstbegleitende Werke geschaffen. Niemals seien sie als Gottesdienstersatz gedacht gewesen und nie seien sie so interpretiert worden. Wegen ihrer Schönheit und wegen der durch sie erzeugten Gefühle habe Barth das Mozartsche Werk verglichen mit Gottes Menschfreundlichkeit. Dem Mozartschen Spiel habe er ermutigende, erfreuende und tröstende Wirkung zugebilligt. Diese heilende und vergebende Kraft der Musik habe Barth darauf zurückgeführt, dass Mozarts Musik sich immer selbst genug gewesen sei. Barth habe sie möglicherweise wie ein „Gleichnis des Himmelreiches“ verstanden. Aber sie sei keine Verkündigung und ihr Schöpfer Mozart, dessen Geburtstag sich im Januar zum 250. Mal jährte, sei sich dieser Grenzen seines Werks immer bewusst gewesen, was ihm Barths Sympathien eintrug – auch in theologischer Hinsicht.

02.05.2006