Seile, die vorm Absturz retten

„Fadenkreuz“-Installationen während der Passionszeit in der Kirche Horn

Noch bis zum Ende der Passionszeit spannt sich das Kreuz in der evangelisch-reformierten Kirche Horn.

Horn. Fast zehn Meter hoch und neun Meter breit: So imposant die Maße des neuen Kreuzes in der evangelisch-reformierten Kirche Horn auch klingen, so fein und leicht ist doch sein Material. Das Kreuz besteht aus Wolle. Genauer gesagt: aus elf Quer- und elf Längsfäden. Noch bis einschließlich Karfreitag, 14. April, bleibt das Kreuz in der Kirche.

Das Kreuz hängt oberhalb des Abendmahltisches, wo schon in vorreformatorischer Zeit das sogenannte Triumphkreuz hing. Jenes Kruzifix ist während der Reformation abgenommen worden, als alle Bilder und Christusdarstellungen aus der Kirche verschwanden. Pfarrer Maik Fleck: „Das Kreuz war zum Zeichen geworden für eine Kirche, die bevormundete und unterdrückte. Es hatte seinen Sinn verloren als Symbol der Liebe Gottes. Es musste verschwinden.“

Geblieben ist vom einstigen Kruzifix nur der Haken in der Decke – 9,70 Meter oberhalb des Chorraumbodens. Von hier, am Fuße des Abendmahltisches, hoch bis zur Decke und von der Kanzel quer bis zum gegenüberliegenden Gewölbepfeiler spannen sich nun die sich kreuzenden Wollfäden. Mit einer Leiter, einem langen Stab und viel Geschick haben Pfarrer Maik Fleck und Hausmeister Georg Capelle zu Beginn der Passionszeit, am Aschermittwoch, 1. März, das netzähnliche Gewebe zwischen Kirchenschiff und Chorraum befestigt. Wenn es hell genug ist in der Kirche, schimmern die Wollfäden bunt wie ein Regenbogen.

Elf Fäden sind es in jeder Richtung, die miteinander verwoben sind. In dem Text „Fadenkreuz – fadenscheinig“, der die Installation erläutert und in der Kirche ausliegt, schreibt Pfarrer Fleck: „Elf Jünger sind übrig, als Jesus stirbt. Oder: Elf Jünger haben ihn verraten, verleugnet und verlassen. Nur einer bleibt beim Kreuz bei ihm.“ In seiner Meditation über das Kreuz in der Hornschen Kirche vergleicht Pfarrer Fleck das menschliche Leben mit einem vom Absturz bedrohten Seiltanz: „Ein Seil waagerecht ausgespannt – unser Leben ein Seiltanz, anmutig anzusehen und immer bedroht von der Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Seile senkrecht in der Mitte – als Halt. Oder um hinauf oder hinunter zu gelangen. Wir zu Gott, wohl kaum – aber Gott zu uns.“

10.03.2006