Plötzlich „fremd“

Kirchenasyl: Frauen bereiten sich auf den Weltgebetstag am 1. März vor

Brigitte Fenner, Annette Wolf, Nicole Bernardy und Susanne Tono (von rechts) hatten Dieter Bökemeier und Ursula Fanenbruck eingeladen, um über den Sachstand des aktuellen Lagenser Kirchenasyls zu berichten.

Kreis Lippe/Lage. Das Bibelwort im Matthäusevangelium „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“ ist das Motto des ökumenischen Weltgebetstags, der am Freitag, 1. März, auch in Lippe gefeiert wird. Rund 60 Frauen verschiedener Konfessionen bereiteten sich am Dienstag, 15. Januar, im Gemeindehaus der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Lage auf den Weltgebetstag vor.

Brigitte Fenner, Pfarrerin für Frauenarbeit der Lippischen Landeskirche, die Pfarrerinnen Susanne Tono (Oerlinghausen) und Nicole Bernardy (ev.-methodistische Kirchengemeinde Lage) sowie Annette Wolf gaben theologische Hinweise für die Gestaltung der Gottesdienste. Vor allem aber lenkten sie den Blick auf die Problematik von Migration und Flucht, denn diese beiden Themen bilden den inhaltlichen Schwerpunkt des Weltgebetstags.
In Rollenspielen, in der Beschäftigung mit dem Zitat aus dem Matthäusevangelium und anhand ihrer eigenen Lebensgeschichten setzten sich die Frauen mit der Frage auseinander, was es bedeutet, Vertrautes zu verlassen und plötzlich „fremd“ zu sein.
Ganz unmittelbar und anschaulich wurden die Zusammenhänge von Migration und Flucht sowie Asyl und Gastfreundschaft, als Pfarrer Dieter Bökemeier, Flüchtlingsbeauftragter der Lippischen Landeskirche, und Kirchenvorstandsvorsitzende Ursula Fanenbruck von dem Kirchenasyl berichteten, das die reformierte Gemeinde Lage einer dreiköpfigen Familie aus Aserbaidschan seit Oktober 2012 gewährt.
Mutter, Tochter und Enkelin waren im Dezember 2009 nach Deutschland eingereist und leben seit Jahresanfang 2010 in Lage. Ihr Antrag auf Asyl wurde im Sommer 2012 endgültig abgelehnt. Die Ausländerbehörde des Kreises Lippe verfügte als Ausreise- bzw. Abschiebetag den 25. September 2012. Daraufhin bat die Familie die Kirchengemeinde um Kirchenasyl.
Dieses wurde gewährt aus „humanitären Gründen“, wie Dieter Bökemeier und Ursula Fanenbruck jetzt berichteten. Die 53-jährige Großmutter als Familienoberhaupt dürfe nicht nach Aserbaidschan abgeschoben werden, weil dort die medizinische Behandlung ihrer schweren Zuckerkrankheit mit der Folgekrankheit des diabetischen Fußsyndroms nicht gewährleistet sei. Frau Fanenbruck: „Diabetes in Aserbaidschan kann das Todesurteil bedeuten.“ Das Kirchenasyl wurde zudem der 31-jährigen Tochter und der achtjährigen Enkelin gewährt. Die Tochter müsse ihre Mutter pflegen, weil diese anhaltend von der Gefahr eines „Zuckerschocks“ bedroht und die Anwesenheit einer im Notfall helfenden Person notwendig sei.
Pfarrer Bökemeier erläuterte, dass der Einspruch gegen die Abschiebung vom Verwaltungsgericht Minden vor kurzem ohne Anhörung der Beteiligten abgelehnt worden sei. Dagegen werde jetzt Widerspruch beim Oberverwaltungsgericht Münster eingelegt.
Bökemeier betonte, dass im Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung die Bibel vielfach dazu aufrufe, „Fremden“ die gleichen Rechte wie „Einheimischen“ einzuräumen. Darin spiegele sich die Erkenntnis wider, dass Migration etwas Normales und nicht die Ausnahme sei. Konkret sprach sich Bökemeier dafür aus, dass jahrelang in Deutschland geduldete Ausländer ein Daueraufenthaltsrecht erhalten sollten.
 

17.01.2013