„Herausforderung an alle“

Rechenschaftsbericht des Landeskirchenrates erinnert an Barmer Theologische Erklärung

Kreis Lippe/Lage-Stapelage. Der Bericht des Landeskirchenrates orientiert sich in diesem Jahr an der Barmer Theologischen Erklärung. Die Bekennende Kirche legte 1934 angesichts der Bedrohung durch die nationalsozialistische Diktatur verbindliche Aussagen über Wesen und Auftrag der Kirche fest. In ihrem 75. Jubiläumsjahr erinnerte Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann an die Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung für die Evangelische Kirche in Deutschland und für die Lippische Landeskirche.

„Die Lippische Landeskirche nennt sie in der Präambel ihrer Verfassung, erkennt ihr also den Rang einer Grundlage für das gesamte in der Landeskirche und ihren Gemeinden geltende Recht und damit für das kirchliche Leben zu.“ Für diese Entscheidung sei möglicherweise mit maßgebend gewesen, „dass die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen das erste gemeinsame Zeugnis von Lutheranern und Reformierten (sowie Unierten) seit der Reformation ist.“ Die Aufnahme in die Präambel der Verfassung signalisiere, „dass die konfessionelle Differenzierung innerhalb der Lippischen Landeskirche keinen kirchentrennenden Charakter hat, sondern von einem tiefen Konsens umschlossen ist.“
Die erste Barmer These schärfe ein, dass der christliche Glaube sich allein auf Jesus Christus richte und dass er allein die Quelle der Verkündigung der Kirche sei. Nicht zufällig klinge dabei das vierfache „allein“ der Reformation an: allein Jesus Christus und allein die Schrift „sind die Grundlagen unseres Glaubens“, so Dutzmann, allein aus Gnade und allein durch den Glauben „werden wir von Gott gerecht gesprochen, so dass wir trotz der vielen Brüche und Verfehlungen in unserem Leben vor ihm bestehen können.“
Dr. Dutzmann erinnerte in diesem Zusammenhang an das Calvinjahr anlässlich des 500. Geburtstags des Reformators Johannes Calvin, das insbesondere auch in Lippe unter dem Titel „Wurzeln – was nährt und Leben schafft“ erfolgreich gewesen sei.

Jahresthema 2010
Über das Jahr 2010 stelle die Landeskirche die Bitte aus dem Vaterunser „…und vergib uns unsere Schuld“, ein Thema, das sich bei „näherem Hinsehen als brandaktuell und existentiell“ erweise. Bei größeren Unglücken sei immer wieder zu beobachten, dass „das Erschrecken sehr schnell der Frage nach den Ursachen und der Suche nach Schuldigen weicht. Wahrscheinlich meinen wir Menschen, Katastrophen in den Griff bekommen und Lebensrisiken ausschließen zu können, wenn wir nur Verantwortliche benennen (und belangen) können.“ Christen wüssten jedoch, dass das ein Irrtum sei: „Es gibt, davon berichtet die Bibel in allen ihren Teilen – kein Leben ohne Risiko, ohne Brüche und ohne Einschränkung, und es gibt kein Leben ohne Schuld. Deshalb ist der Zuspruch der Vergebung von so zentraler Bedeutung.“

Armut in Lippe
Mehrfach habe sich die Landessynode in der jüngsten Vergangenheit mit dem Thema „Armut in Lippe“ beschäftigt. Die Anregungen und Forderungen der Landessynode in Bezug auf eine Gleichbehandlung armer Menschen in lippischen Städten und Gemeinden seien trotz erster Gespräche mit der Politik noch ohne greifbare Ergebnisse: „Es ist deshalb ein weiterer Vorstoß nötig, denn es ist ungerecht, wenn arme Menschen in Lemgo oder Barntrup Leistungen nicht erhalten, die in Detmold selbstverständlich gewährt werden und umgekehrt. Allen steht eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu.“

Kein reines Sparkonzept
Dr. Dutzmann erinnerte auch an das 100-jährige Jubiläum des Diakonischen Werks mit verschiedenen Veranstaltungen und Aktionen. Gleichzeitig habe der Synodalbeschluss zur Zukunft des Diakonischen Werks bei vielen Mitarbeitenden Unruhe ausgelöst. Von der Landessynode eingesetzte Konzeptgruppen sollten bedenken, wie die Landeskirche in den kommenden Jahren ihre Aufgaben unter veränderten strukturellen, gesellschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen erfüllen könne. Die Konzeptgrupe „Diakonisches Werk“ solle zudem aufzeigen, wie hier künftig erhebliche Summen eingespart werden können. Die zweite Barmer These erinnere daran, dass der dankbare Dienst an seinen (Gottes) Geschöpfen zum Wesen der Kirche gehöre. Das künftige Diakoniekonzept werde deshalb kein reines Sparkonzept sein, sondern darlegen, wie die Lippische Landeskirche und ihre Gemeinden dem Anspruch Gottes nachkommen können.

Arbeitskampfmaßnahmen ausgeschlossen
Die dritte These der Barmer Theologischen Erklärung setze die Botschaft, die die Kirche verkündige, mit der Ordnung, die sie sich gebe, in Beziehung: „Die Kirche kann und darf sich nicht einfach eine irgendwie geartete Ordnung geben, nur weil sie zweckmäßig ist oder dem Zeitgeist entspricht, sondern sie hat diese Ordnung vom Evangelium her zu entwickeln“. Ein bemerkenswerter Versuch, Botschaft und Ordnung der Kirche zur Deckung zu bringen sei in den meisten Landeskirchen die Rechtssetzung im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechtes nach dem Modell des sogenannten „Dritten Weges“. Für die Kirche als Dienst- bzw. Gabengemeinschaft erscheine weder das einseitig durch einen Dienstherrn gesetzte (erster Weg) noch das mittels Tarifverhandlungen, Streik und Aussperrung erstrittene Arbeitsrecht (zweiter Weg) angemessen. Vielmehr geschehe die Arbeitsrechtssetzung in einer paritätisch besetzten „Arbeitsrechtlichen Kommission“, in der keine Seite die andere überstimmen könne. Komme keine Einigung zustande, entscheide eine ebenfalls paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Schiedskommission. Arbeitskampfmaßnahmen seien ausgeschlossen: „Die Verkündigung der Botschaft von Gottes Liebe und die Werke der Nächstenliebe dürfen nicht von dem Druck abhängen, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufeinander ausüben. Der Auftrag der Kirche kann nicht für die Dauer eines Streiks oder einer Aussperrung ausgesetzt werden.“

An Gottes Gebote und Gerechtigkeit erinnern
Landessuperintendent Dr. Dutzmann wies weiter darauf hin, dass der Staat nach der fünften Barmer These eine wohltätige Anordnung Gottes sei: „Er ist es aber nur, insofern er für Recht und Frieden sorgt.“ Hier komme die Kirche ins Spiel, sie erinnere an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels erinnere sie daran, dass Gott dem Menschen aufgetragen habe, die Erde zu schonen, damit noch viele Generationen auf ihr Lebensraum und Nahrung fänden und in Hinsicht auf die Globalisierung : „dass Gott der Herr der ganzen Welt ist und dass es uns folglich nicht gleichgültig sein darf, welche Folgen unser Tun und Lassen für die Menschen in anderen Teilen des einen Globus hat.“

Verkündigung des Evangeliums
Die sechste Barmer These konzentriere den Auftrag der Kirche auf die Verkündigung des Evangeliums durch Predigt und Sakrament. Unter dieser These kündigte Dutzmann unter anderem den Entwurf eines Gesamtkonzeptes zur Personalentwicklung und- planung an: „Ausgehend von einer ehrlichen Analyse der Mitgliederentwicklung in der Lippischen Landeskirche und der Altersstruktur der Pfarrerschaft stellt das Konzept unterschiedliche Szenarien vor und plädiert für maßvolle Neueinstellungen von Pfarrerinnen und Pfarrern ab dem Jahr 2013.“ In der vierten Barmer These sei die Rede von dem der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienst, damit werde durch die Ausbildung und Berufung von Prädikanten Ernst gemacht.
Die Barmer Theologische Erklärung erfasse alles, was im Leben der Kirche Jesu Christi von Belang sei. Die Thesen erweisen sich, so Dutzmann, „als hoch aktuell und also als Herausforderung an alle, die die Kirche zu leiten haben.“

23.11.2009