Auf dem Podium diskutierten (von links): Friedrich Brakemeier, Emin Özel, Catrin Hirte-Piel, Martin Dutzmann und Jürgen Scheffler.

Begegnung und Toleranz

Erstes „Marktplatzgespräch“ über „Enge.Heimat.Lippe?“

Kreis Lippe/Detmold. „Fremdheit kann durch persönliche Begegnung überwunden werden.“ Nach Überzeugung von Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann müsse man sich bemühen, hinter der Nationalität und Amtsformularen den individuellen Menschen und dessen Geschichte zu entdecken, wenn aus Fremden Vertraute und aus Fremde Heimat werden soll. Dutzmann warb für ein wechselseitiges Akzeptieren von Einheimischen und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf einer Podiumsdiskussion am Dienstag, 2. September, im Gemeindehaus am Markt in Detmold.

Unter der Gesprächsleitung von Pfarrer Dieter Bökemeier (evangelisch –reformierte Kirchengemeinde Detmold-Ost) und der landeskirchlichen Bildungsreferentin Monika Korbach sprachen Friedrich Brakemeier (Lippischer Heimatbund), Emin Özel (Unternehmer und türkischstämmiger Paderborner Schützenkönig), Catrin Hirte-Piel (Rechtsanwältin aus Bielefeld), Jürgen Scheffler (Museumsleiter der Stadt Lemgo) und Dr. Martin Dutzmann über „Enge.Heimat.Lippe - Wie offen ist Lippe für Menschen, die eine Heimat suchen?“

Für Martin Dutzmann bedeutet der Begriff Heimat mehr als eine bloße Ortsbeschreibung: „Wo immer ich unter Christen bin und gemeinsam mit ihnen Gottesdienst feiere, stellt sich bei mir Heimat ein.“ Dieses Gefühl der Vertrautheit erfahre er insbesondere bei Auslandsreisen. Gelebte Ökumene sei zugleich eine Kritik an einem beengenden Heimatbegriff, der andere Menschen ausgrenze.

Emin Özel, Chef einer Werbeagentur in Paderborn und dort im Jahr 2007 erster türkischstämmiger Schützenkönig Deutschlands, berichtete, dass er sich in den Schützenverein eingebracht und zusammen mit den Schützenkameraden an allen Vereinsereignissen teilgenommen habe: „Durch diese Begegnungen auf Vereinsebene sind Mauern gefallen.“ Als ihm die herausgehobene Position des Schützenkönigs angetragen worden sei, habe er befürchtet, von Teilen der Bevölkerung abgelehnt zu werden. Doch dann habe ihn die überaus positive Resonanz überrascht. „Paderborns Bürger haben sich als sehr offenherzig erwiesen.“ Auch wenn er als bekennender Moslem kein Bier trinke und keine Bratwurst esse, fühle er sich in jeder Hinsicht akzeptiert.

Rechtsanwältin Catrin Hirte-Piel bedauerte, dass das einst „relativ offene deutsche Ausländerrecht“ zunehmend intoleranter gegenüber Zuwanderern geworden sei. Der europäische Vereinigungsprozess habe in der jüngeren Vergangenheit zu weiteren Verschärfungen beigetragen. Die Fachanwältin für Sozialrecht: „Europa macht die Grenzen dicht.“

Museumsleiter Jürgen Scheffler legte dar, dass in Deutschland in früheren Jahrhunderten der Begriff Heimat eng verbunden gewesen sei mit der Teilhabe an Rechten. Wer seine Heimat verließ, war andernorts nahezu rechtlos und durfte bestimmte Berufe nicht ausüben.

Friedrich Brakemeier erinnerte daran, dass die meisten Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem 2. Weltkrieg in Lippe in der Regel nicht willkommen gewesen seien. Man habe die Flüchtlinge nicht durchfüttern wollen, sondern habe sie zum „Stoppeln“ (Aufsammeln zurück gebliebener Früchte) auf die Felder geschickt. Sie hätten mit den schlechtesten Unterkünften, manchmal sogar Ställen, Vorlieb nehmen müssen. „Heimisch werden braucht Zeit“, bilanzierte der Heimatbund-Vorsitzende die in seinen Augen viel zu lange Dauer der Integration der Flüchtlinge. Die Erfahrung lehre ihn, dass auch das Einleben der russlanddeutschen Aussiedler und anderer Migranten Zeit benötige. Zuwanderer könnten nur dann eine neue Heimat finden, wenn die Alteingesessenen sich nicht engstirnig zeigten. Froh sei er darüber, dass man in Lippe und Deutschland vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte jetzt wieder unbefangen über die Bedeutung von Heimat sprechen könne. Friedrich Brakemeier: „Für mich ist Heimat die Sehnsucht nach menschlichen Bindungen auf der Basis von Toleranz.“

Mit der Podiumsdiskussion startete die Lippische Landeskirche in Zusammenarbeit mit der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Detmold-Ost die neue Reihe „Marktplatzgespräche“, die in einem halben Jahr fortgesetzt wird.

05.09.2008