Zwischen Anteilnahme und Sensation

Notfallseelsorger im Gespräch mit Medienvertretern

Wechselseitiger Respekt: Über das Verhältnis von Notfallseelsorge und Medien sprachen in der Kilianskirche (von links): Christian Brehme, Michael Thamm, Christoph Pompe und Michael Dahl.

Kreis Lippe/Schötmar. „Journalisten sind in der Regel keine ‚Aasgeier’, aber sie müssen ihrer Chronistenpflicht genügen.“ Michael Thamm, Leiter des Bielefelder WDR-Studios, warb auf einer Diskussion zwischen Medienvertretern und Notfallseelsorgern für ein wechselseitiges Respektieren sowohl der journalistischen Berufszwänge auf der einen wie der seelsorgerischen Betreuungsaufgabe von Notfallopfern auf der anderen Seite. Anlass der Diskussion war das am Sonntag, 6. April, in der evangelisch-reformierten Kilianskirche zu Schötmar begangene Jubiläum „10 Jahre Notfallseelsorge Lippe - Erste Hilfe für die Seele“.

Als Medienvertreter diskutierten WDR-Studioleiter Michael Thamm (Bielefeld) und Michael Dahl, Redaktionsleiter der Lippischen Landeszeitung (Detmold), mit den beiden Notfallseelsorgern Christian Brehme (Schlangen) und Christoph Pompe (Detmold). Thamm und Dahl unterstrichen, dass eine journalistische Berichterstattung über Brandkatastrophen, Verbrechen oder Verkehrsunfälle die Opfer und deren Angehörige nicht ein zweites Mal zu Opfern machen dürfe. Umfassend ausgebildete und professionell arbeitende Journalisten seien sich dieser Verantwortung bewusst - zumindest beim WDR und bei der Lippischen Landeszeitung. Berichterstattungslücken seien dennoch nicht auszuschließen, räumten die beiden Redakteure ein. Zuweilen verhindere ein nahender Redaktionsschluss letzte Antworten auf noch offene Recherchefragen.

Der LZ-Redaktionschef und sein WDR-Kollege ermunterten Notfallseelsorger und Mitglieder von Rettungsorganisationen, in der aktuellen Situation eines Unglücksfalls bzw. im Zuge der Nachberichterstattung von sich aus auf die Medien zuzugehen, Stellung zu offenen Fragen zu nehmen und Hintergrundwissen aus Opfersicht zu vermitteln. Diese Hinweise seien hilfreich, um einer Re-Traumatisierung der Opfer durch die Berichterstattung vorzubeugen. Man solle auf journalistische Kompetenz vertrauen und nicht ausschließlich Sensationsgier vermuten.

„Organisieren Sie keine Verschwiegenheit im Umgang mit Medien“, appellierte Michael Thamm an die Notfallseelsorger. Eine Mauer des Schweigens bzw. sehr zögerlich preisgegebene Informationen stachelten die Medien erst recht an und ebneten Spekulationen den Weg. Auf den Hinweis Pfarrer Pompes, man könne doch partnerschaftlich zusammenarbeiten, reagierte LZ-Redaktionsleiter Michael Dahl mit Vorbehalt: Die Glaubwürdigkeit von Medien bestehe u.a. in ihrer Unabhängigkeit. Partnerschaft dürfe nicht Verbrüderung bedeuten mit dem Ziel, öffentlichkeitsrelevante Informationen aus der Berichterstattung fernzuhalten.

Christoph Pompe, Leiter der Notfallseelsorge in Lippe, sagte, dass er zu Beginn seiner Tätigkeit als Notfallseelsorger vor zehn Jahren davon überzeugt gewesen sei, „Opfer und deren Angehörige vor aggressiven Medienvertretern schützen zu müssen.“ Im Laufe der Zeit habe er jedoch festgestellt, dass die Berichterstattung über Unglücksfälle und die Arbeit von Notseelsorgern für alle Betroffenen auch gut sein könne. Eine verantwortungsbewusste Information der Öffentlichkeit durch die Medien bewirke eine öffentliche Anteilnahme am Unglück anderer Menschen. Unglücksopfer würden durch die mediale Aufmerksamkeit positiv erleben, dass ihr Schicksal der Öffentlichkeit nicht egal sei. Christoph Pompe: „Der Verlust von Öffentlichkeit in einer medialen Gesellschaft bedeutet in der Konsequenz Nicht-Anteilnahme.“

Für die zukünftige Zusammenarbeit mit den Medien wünschte sich Lippes leitender Notfallseelsorger „gegenseitige Vertrauensvorschüsse und wechselseitige Achtung“. Bei einem Notfalleinsatz befänden sich vorher fremde Menschen - Opfer, Rettungskräfte, Seelsorger, Medienvertreter - gemeinsam in einer außergewöhnlichen Situation. Um diese Situation zu bewältigen und die jeweils eigenen Interessen angemessen zu wahren, sei Vertrauen unabdingbar. Das Gespräch in der Kilianskirche sei ein Schritt, um das Verständnis zwischen Medien und Notfallseelsorge zu fördern.

Die rund um die Uhr alarmierbare Notfallseelsorge Lippe wurde 1998 gegründet. Besonders fortgebildete Pfarrerinnen und Pfarrer aus den christlichen Kirchen und Gemeinschaften in Lippe stehen den Feuerwehren, den Rettungsdiensten und der Polizei zur Begleitung bei Unfällen, bei der Mitteilung von Todesnachrichten und bei Großschadenslagen zur Hilfe für Angehörige, Sterbende und Unfallbeteiligte zur Verfügung. Die Notfallseelsorge Lippe ist ein ehrenamtlicher Dienst. Koordinator und gewählter Leiter der Notfallseelsorge ist Landespfarrer Christoph Pompe. Weitere gewählte Mitglieder des Leitungsausschusses sind die evangelischen Pfarrer Michael Keil (Barntrup), Andreas Gronemeier (Schötmar) und Christian Brehme (Schlangen).

11.04.2008